In München strömen Touristen auf den Marienplatz, wenn das berühmte Glockenspiel am Rathaus loslegt. Auch Karlsruhe hat ein Glockenspiel im Rathaus zu bieten. Doch davon wissen die wenigsten. Hier bleiben Passanten im besten Fall verwundert stehen, wenn die zarten Töne über den Marktplatz schallen, und recken ihre Köpfe nach oben. Was hat es mit dem Glockenspiel der Fächerstadt auf sich? Wieso gibt es so etwas überhaupt im Rathaus?

Glockenspiele an Rathäusern sind Mitte des 20. Jahrhunderts sehr beliebt, sodass ab 1960 immer wieder Briefe an die Karlsruher Stadtverwaltung ein Glockenspiel fordern, wie ein Blick ins Stadtarchiv zeigt. Als Beispiele nennen Bürger*innen Glockenspiele in Mannheim, Bonn und Worms, Johannesburg und Brüssel, wo sie solche Glocken zum Beispiel auf Urlaubsreisen hören.
Ab den 1960ern: Karlsruher wünschen sich ein Glockenspiel
Lange lehnt der Gemeinderat diese Anregungen ab – zu aufwändig, zu teuer, nicht realisierbar. Bis zum Jahr 1980, als die Stadtverwaltung den Marktplatz beleben will: Im Nordteil des Platzes zieht ein Café ein, Sitzbänke und Oleandersträuche schaffen Aufenthaltsqualität. Für den südlichen Teil des Marktplatzes fehlt noch etwas. „Der Einbau eines Glockenspiels (…) wäre eine außerordentliche Attraktion für den südlichen Platzbereich“, schreibt damals Theo Schlüter vom Karlsruher Stadtplanungsamt. Schließlich lässt sich der Gemeinderat überzeugen und stimmt für das 300.000 D-Mark teure Glockenspiel, das rechtzeitig zum Christkindlesmarkt 1981 fertig eingebaut ist. Die Menschen sind begeistert, Lobesbriefe von damals können im Stadtarchiv gelesen werden.
Anderswo findet man heute nicht mehr viel Zustimmung für das Glockenspiel: Eine nicht repräsentative Umfrage von Karlsruhepuls ergab, dass Menschen auf dem Marktplatz das Teil entweder gar nicht kennen oder dass es ist ihnen egal ist. Lediglich einige Touristen scheinen den unerwarteten Sound der 42 Bronzeglocken zu genießen.
Passende Lieder für jede Jahreszeit und jeden Anlass
Der Musikautomat in der Loggia des Karlsruher Rathauses erklingt viermal täglich und wird einmal im Jahr gewartet. Dafür fallen der Stadt zufolge Kosten im unteren vierstelligen Bereich an. Rathausmitarbeiterin Kathrin Hammer agiert quasi als „Glockenspiel-DJane“ und plant das ganze Jahr über Stücke für das Karlsruher Glockenspiel. „Wir haben einen Katalog mit etwa 60 Liedern“, erzählt sie. Für den Frühling wählt sie Beschwingtes aus, im Winter darf es auch ein Stück in Moll sein oder das Volkslied Schneeflöckchen, Weißröckchen. Für spezielle Anlässe hat Kathrin Hammer auch besondere Lieder auf Lager – so erklingt etwa auf Wunsch des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Tag der Arbeit das linke Kampflied Bella Ciao.
Ansonsten geht es auf der Playlist des Karlsruher Glockenspiels oft volkstümlich zu, aktuell sind Ich weiß nicht, was soll es bedeuten um 12.02 Uhr und 15.02 Uhr und Winter, adé! um 13.02 Uhr und 17.02 Uhr zu hören. Mit Liedern wie Yesterday kann es aber auch poppig werden, versichert Kathrin Hammer. Manchmal schaltet sie das Glockenspiel ganz aus, damit es keine Rede des Oberbürgermeisters unterbricht. Und damit die Bronzeglocken am Rathaus keine Konkurrenz zu den Glocken der Stadtkirche gegenüber darstellen, werden sie immer erst nach dem Stundengeläut der Kirche angeschlagen.
Glockenspiel lässt sich sogar live per Keyboard steuern
Skurriler Fun-Fact: Das Steuerungssystem der Rathausglocken ist für Kirchen gemacht und bietet komplexe Zusatzfunktionen, etwa das Steuern einer Sitzheizung. Da der Gemeinderat jedoch ohne Sitzheizung auskommen muss, benötigt Kathrin Hammer nur einen kleinen Teil der vielen Funktionen.
Um die Tracks für die nächsten Monate zu planen, geht die Verwaltungsangestellte in ein kleines Zimmer im Rathaus. Von dort aus hat sie das Glockenspiel im Blick, auf dem Schreibtisch steht ein Keyboard. Früher drückte hier noch ein Kantor live die Tasten, später spielte ein Musiklehrer die Glockenspiel-Lieder ein. Hobby-Klavierspielerin Kathrin Hammer verzichtet aber auf die Bedienung des Glockenspiels per Tasteninstrument und beschränkt sich aufs Programmieren. Die Songs bis Sommer stehen bereits fest. „Im April spielen wir Wenn ich ein Vöglein wär und Im schönsten Wiesengrunde“, verrät Kathrin Hammer.
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