Gesellige Treffen, reger Austausch mit deinen Nachbarn und im eigenen Stadtteil etwas bewegen – das bieten dir die Karlsruher Bürgervereine. Aber wie lange noch? Viele Bürgervereine haben Schwierigkeiten, junge Mitglieder zu finden, auch auf den Vorsitz hat kaum jemand Lust. Wie in anderen Vereinen fehlt es an Nachwuchs, die meisten Bürgervereins-Mitglieder sind im Rentenalter. Woran liegt das? Und wie schafft es eine andere Initiative, die sich ebenfalls mit dem Zusammenleben in Stadtvierteln beschäftigt, junge Menschen für die Mitarbeit zu gewinnen? Wir haben uns auf Spurensuche begeben.
Bürgervereine erleben deutschlandweit Mitgliederschwund
Der Nachwuchsmangel in den Bürgervereinen ist kein lokales Problem. Bürgervereine in ganz Deutschland haben Schwierigkeiten, junge Menschen für ihre zu Arbeit begeistern. Das geht sogar so weit, dass manche über 100 Jahre alten Vereine vor dem Ende stehen.
Eine Google-Suche nach den Begriffen “Bürgerverein aufgelöst” spuckt zahlreiche Hinweise auf Vereine aus, die in den vergangenen 15 Jahren geschlossen wurden. Sogar der Verband Deutscher Bürgervereine, einst Dachverband aller deutschen Bürgervereine, stellte 2024 seine Arbeit ein – weil sich keine Kandidaten für das Präsidium fanden.
Kein Wunder, dass es auch die 25 Karlsruher Bürgervereine schwer haben. “Unser Vorstand ist zwischen 50 und 80 Jahre alt”, sagt Jürgen Scherle, der Vorsitzende des Bürgervereins Oststadt. Das sei nicht per se schlecht, schließlich hätten Rentner mehr Zeit, sich zu engagieren. Aber einen Nachfolger für seinen Vorsitz hat er bisher nicht gefunden – weder unter den Älteren noch unter den wenigen jüngeren Mitgliedern seines Vereins.
Die Generation Z fehlt in den Bürgervereinen
Im Bürgerverein Stadtmitte ist die Situation ähnlich. “Von unseren 120 Mitgliedern sind die meisten um die 70 Jahre alt”, berichtet der Vorsitzende Rolf Apell. Die Jüngsten im Verein seien um die 40, viele von ihnen gebe es aber nicht. Auch Rolf Apell sucht seit Jahren vergeblich einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für sein Amt. “Als Ehrenamtler bin ich eine aussterbende Art – junge Menschen haben heute kein Interesse mehr an der Mitarbeit in einem Verein.”
Sein Oststadt-Kollege Jürgen Scherle sieht das genauso. “Die junge Generation will sich auf nichts mehr länger einlassen. Erst haben sie zu viel im Studium zu tun, dann mit der Arbeit, später mit der Familie“, sagt Jürgen Scherle, der selbst bereits währen seines Studiums dem Bürgerverein Oststadt beitrat. Heute wäre er damit eine Rarität.
Aber warum ist das so? Haben die Bürgervereine keine Angebote, die junge Menschen interessieren könnten? Doch, ist sich Jürgen Scherle sicher. “Bei uns kann man sich einbringen”, betont er. Neben geselligen Aktivitäten wie Spaziergängen, gemeinsamen Ausfahrten und Spieleabenden geht es vor allem um politische Teilhabe.
Denn in Karlsruhe sind die Bürgervereine eine wichtige Schnittstelle zwischen Bürgern und Politik. “Wir kümmern uns um alle Angelegenheiten eines Stadtteils”, sagt Helmut Rempp, Vorsitzender des Bürgervereins Rintheim und gleichzeitig des Dachverbands Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Bürgervereine. “Egal ob es um Sauberkeit, Sicherheit, Spielplätze oder Straßenbahnen geht.”
Direkter Draht zum Karlsruher Gemeinderat
Manche Probleme, die von den Bewohner*innen eines Stadtteils an den Bürgerverein herangetragen werden, bespricht der jeweilige Vorstand direkt mit der Stadtverwaltung. Oder er schreibt eine Stellungnahme an den Gemeinderat. Auch mit Amtsverwaltern und Bürgermeistern gehen die Vorsitzenden eines Bürgervereins ins Gespräch. So hat etwa Helmut Rempp als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Bürgervereine einen festen Sitz im Planungsausschuss der Karlsruher Stadtverwaltung, jenem Gremium, das sich mit Stadtbild, Verkehrsplanung, Wohnungsbau, Umweltschutz und vielen weiteren wichtigen Fragen der Stadtentwicklung beschäftigt.
Bei stadtteilspezifischen Themen werden die Vorsitzenden der entsprechenden Bürgervereine dazugeholt. So hat sich etwa der Bürgerverein Rintheim dafür eingesetzt, dass eine geplante neue Umfahrungsstraße zwischen den Stadtteilen Rintheim und Hagsfeld zur Entlastung der Wohngebiete eine Unterführung statt einer Brücke erhält – mit Erfolg.
Politische Mitgestaltung zieht Menschen an
Diese Möglichkeit der politischen Mitbestimmung lockte auch einige jüngere Mitglieder in den Bürgerverein Grünwinkel. “Durch eine Baumpflanzaktion gemeinsam mit Grundschulkindern haben Eltern von unserem Verein erfahren und sind eingetreten, um sich bei uns für einen sicheren Schulweg ihrer Kinder einzusetzen”, erzählt die Vorsitzende Karin Armbruster. “Wir machen den Gemeinderat auf Probleme aufmerksam.“
Dem pflichtet Martina Hillesheimer, Vorsitzende der Bürger-Gesellschaft der Südstadt, bei. “Wir haben eine gute Lobby in der Stadt und werden gehört”, sagt sie. Auch in ihren Verein treten Menschen ein, die sich für Verkehrssicherheit und sichere Schulwege einsetzen.
Verantwortung und Vorstandsarbeit sind unbeliebt
Doch auch, wenn sich neue Mitglieder finden, heißt das nicht, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. “Vorstandsarbeit in Vereinen ist zeitaufwendig und erfordert viel Engagement“, weiß Helmut Rempp. Neben den monatlichen Vorstandssitzungen und der Organisation von Festen und Veranstaltungen werden die politischen Themen vorangebracht.
“Als Vorsitzende kann man sich nicht so leicht aus der Verantwortung ziehen, das schreckt viele ab. Unser Vorstandsteam ist in den letzten Jahren um ein Drittel geschrumpft”, bedauert Karin Armbruster. Ihr 750 Personen starker Bürgerverein Grünwinkel fand erst einen neuen Kassierer, nachdem er einen Steuerberater engagiert hatte. “Vorher wollte den Job niemand machen, weil es so kompliziert ist und wir wegen einer falschen Steuererklärung Geld ans Finanzamt nachbezahlen mussten”, erinnert sie sich.
Kiezblocks: Politisches Engagement ohne starre Strukturen
Um solche Probleme zu umgehen, hat die Initiative Kiezblocks Karlsruhe eine andere Form der Organisation gewählt. Kiezblocks setzt sich für weniger Auto-Durchgangsverkehr ein und ist als Projekt an den Berliner Verein Changing Cities angegliedert. Das bedeutet: Wer mitarbeiten will, kann einfach vorbeikommen und sich engagieren, ohne sich langfristig zu binden.
In Karlsruhe hat Kiezblocks rund 15 aktive Mitglieder, überwiegend junge Menschen, darunter auch einige Anfang 20-Jährige. Sie engagieren sich bei Aktionen in der Südweststadt, Südstadt und Oststadt. „Manche von uns sind für ein paar Monate sehr aktiv, ziehen sich dann aber zurück, wenn sie ihre Bachelorarbeit schreiben oder mehr Zeit mit der Familie brauchen“, sagt Sophie Forreiter, eine der Aktiven.
Im Vorstand eines klassischen Bürgervereins wäre eine derartige Flexibilität undenkbar. Deshalb sieht Sophie die besondere Struktur der Initiative Kiezblocks als entscheidenden Vorteil für die Förderung von ehrenamtlichem Engagement. „Wir müssen uns nicht an starre Strukturen eines Vereins halten, brauchen keinen Vorstand und keine Kassenprüfer – diese Arbeit übernimmt Changing Cities in Berlin für uns.“
Bürgerverein geht nicht ohne Vorstand
Für die Karlsruher Bürgervereine wiederum kommt ein solches Modell nicht infrage. Als eingetragene Vereine sind sie an das Bürgerliche Gesetzbuch gebunden, das in Paragraph 26 einen gewählten Vorstand vorschreibt. Ohne Vorstand bleibt ihnen nur die Auflösung. Dass ein Bürgerverein aufgelöst wird, darin sind sich die Verantwortlichen einig, wäre ein herber Verlust für Karlsruhe.
“Bürgervereine nehmen in Karlsruhe eine wichtige politische Position ein, darum müssen sie erhalten bleiben”, findet Südstadt-Vorsitzende Martina Hillesheimer. Auch Dachverbandsvorsitzender Helmut Rempp aus Rintheim sieht die Zukunft der Vereine nicht ganz schwarz. „Bürgervereine sind nach wie vor beliebt, keiner der Karlsruher Bürgervereine verzeichnet einen Rückgang der Mitglieder”, sagt er. „Das Problem ist, Menschen zu finden, die sich im Vorstand engagieren. Aber wir bleiben auf der Suche.“
Wer sich von den Themen der Bürgervereine angesprochen fühlt, kann beispielsweise auf den anstehenden Treffen des Bürgervereins Oststadt vorbeischauen. Dort geht es am 14. März um die Weiterentwicklung des Otto-Dillenkopf-Parks. Und am 20. März wird ein neuer Vorstand gewählt.
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