Schritt für Schritt zum perfekten Schuh

Sein erster Blick geht immer nach unten. Benjamin Bigot sieht sofort, wie gut oder schlecht die Schuhe seines Gegenübers sitzen. Der Maßschuhmacher aus Frankreich hat seine Werkstatt seit 13 Jahren in Karlsruhe, seit zwei Jahren auf dem Alten Schlachthof. In der ehemaligen Großmarkthalle, wo einst Mettwurst, Kabeljau und Geflügel gehandelt wurden, stellen Kreative nun Keramik, Möbel und Kleidung her.

50 Stunden Arbeit für ein Paar Schuhe

In einem der schmalen Ateliers produziert Ben seine hochwertigen Lederschuhe. Bevor er zum Werkzeug greift, spricht er ausführlich mit seinen Kunden: „Für mich ist es wichtig, sich kennenzulernen. Ich höre genau zu, was sie mir aus ihrem Leben erzählen.“ Kein Wunder, die Arbeit am Produkt erfordert 200 Arbeitsprozesse und 50 Stunden, das Endprodukt ist also äußerst hochwertig.

Ein Paar Schuhe aus Bens Werkstatt kostet 4.500 Euro, die Kund*innen warten bis zu acht Monate darauf. Was im ersten Moment unendlich teuer klingt, rechnet sich mit den Jahren. „Die Maßarbeit ist langlebig, meine Schuhe halten mindestens 15 Jahre lang, bei guter Pflege sogar 30! Sie sind robust, einzigartig und gut zu reparieren“, erklärt Benjamin Bigot. Vor allem sind die Maßschuhe auch sehr bequem, durch die individuelle Anpassung drückt rein gar nichts.

Nicht nur Reiche leisten sich Maßschuhe

So kommt es, dass sich nicht nur Superreiche diese Art Schuhe kaufen, sondern Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. „Manche sparen lange darauf“, weiß Ben. „Ein 23-Jähriger war bei mir, um Maß nehmen zu lassen. Nach einem Dreivierteljahr kam er wieder und sagte: ‚Fertige die Leisten an!‘. Er hatte jeden Monat Geld zur Seite gelegt.“ Anhand der Leisten – Formstücke aus Holz, die dem Fuß des Kunden nachempfunden sind – baut Benjamin einen Probeschuh auf, der beim zweiten Termin anprobiert wird. Wenn etwas drückt, ändert Ben es auf dem Holzmodell.

Danach wird besprochen, welche Art Schuh es sein soll, in welchen Farben und mit welchen Fäden. „Dabei fließt die Persönlichkeit der Menschen mit ein, neulich habe ich die Form eines Autos auf einen Schuh übertragen …“, erzählt Ben. In der Gestaltung ist vieles möglich, allerdings verwendet er keine exotischen Lederarten wie Schlange oder Krokodil, sondern meistens Cordovan, also Pferdeleder.

Benjamin Bigot näht aufwendig von Hand

Der 41-Jährige schneidet das ausgewählte Leder zu, zieht es auf die Leisten und stellt eine Innensohle aus Leder her, die Brandsohle. Sie ist die Basis für jeden Schuh und sorgt dafür, dass er gut sitzt. Das Oberteil des Schuhs – genannt Schaft – wird über den Leisten gezogen und an der Innensohle befestigt, anschließend vernäht Ben den Rahmen aufwendig von Hand mit Oberteil und Brandsohle, bevor er die eigentliche Laufsohle aufbringt.

Seine Kundschaft reist aus ganz Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu ihm, ein Schuhliebhaber fliegt sogar zweimal im Jahr aus Thailand ein, um ein neues Modell in Auftrag zu geben oder ein altes ausbessern zu lassen. Manchmal fährt Ben zu Vielbeschäftigten mit wenig Zeit, einmal hat er sogar am Leipziger Bahnhof Maß genommen.

Maßschuhe auch aus gesundheitlichen Gründen

Manche Kunden lassen sich aufgrund von Fehlstellungen der Beine oder Füße Maßschuhe machen. Etwa Frauen, die unter einem Hallux Valgus leiden, einer schmerzhaften Schiefstellung des großen Zehs. Kein Problem für Ben, der auch orthopädische Schuhe herstellen kann. So kam auch ein Kunde mit einem verkürzten Bein zu ihm, dem vorher kein Schuh richtig gepasst hatte. Erst die Maßarbeit von Ben saß richtig. „Er hat dann gleich vier Paar nachbestellt und ich bin mir sicher, dass er sie gut pflegt“, freut sich der Schuhmacher.

Wie die Schuhe korrekt zu putzen sind, kann man bei Ben lernen. In Gruppenkursen treffen sich die unterschiedlichsten Menschen, um ihre mitgebrachten Treter zu wienern. Dabei wird aber nicht nur geputzt, manchmal veranstaltet Ben als Rahmenprogramm ein Frühstück, mal gibt’s Cocktails oder ein kleines Konzert. Die Leute, die zu diesen Events kommen, sind oft sehr verschieden und würden sich normalerweise wohl nicht begegnen – aber alle mögen Schuhe! Vor lauter Begeisterung sollte man seine Lieblingsschuhe nicht zu sehr schonen, findet Ben. „Manche trauen sich gar nicht, ihre Schuhe zu tragen, weil sie so teuer waren. Dabei kann ich sie reparieren, falls etwas kaputt geht. Also: Bitte häufig anziehen und immer raus damit auf die Straße – Schuhe müssen leben!“