Die Grenze zu Frankreich liegt nur 20 Kilometer entfernt, viele Berufstätige pendeln zum Arbeiten vom Elsass in die Fächer-Metropole. Außerdem leben laut Statistikstelle der Stadt 2.463 Französinnen und Franzosen permanent in Karlsruhe. Dazu kommen 831 Personen, die neben der deutschen auch die französische Staatsangehörigkeit besitzen.
Fürs Studium nach Karlsruhe gekommen
Sylvain Volpp ist 2004 für sein deutsch-französisches Maschinenbau-Studium nach Karlsruhe gekommen. „Seither habe ich die Stadt nicht mehr verlassen und sogar den deutschen Namen meiner Frau angenommen“, sagt der gebürtige Vichyer. „Ich habe am Anfang so schlecht Deutsch gesprochen, dass ich sogar durch die Sprachprüfung gefallen bin.“ Daraufhin entschied er sich, alles Französische erst mal hinter sich zu lassen.
Die französischen Kumpels traf er nur noch selten, stattdessen ging er auf Wohnheimpartys, bei denen er niemanden kannte. Dort war er gezwungen, deutsch zu sprechen. „Irgendwann habe ich fast kein Französisch mehr gehört – außer von meiner Mutter am Telefon. Als ich dann mit meiner Frau eine Familie gegründet habe, war ich fast ein bisschen zu gut integriert“, erinnert sich Sylvain lachend, „denn ich wollte den Kindern natürlich meine Heimatsprache und -Kultur weitergeben. Dafür musste ich die Verbindung zu Frankreich und den Franzosen in Karlsruhe erst wieder etwa hochfahren.“ Beim Stammtisch des Centre Culturel Franco-Allemand fand der 38-Jährige dann Leute, mit denen er Französisch sprechen konnte. Mit ihnen trifft er sich heute noch.
Kultur wichtiger als Sprache
Mittlerweile benutzt er auch im Job wieder häufiger die Muttersprache, denn seine Arbeitgeberin, die EnBW, hat ein französisches Unternehmen gekauft. „Ich finde, bei der Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg geht es gar nicht so sehr um die Sprache, sondern eher um die Kultur. Wenn ich einen Termin mit den Franzosen habe, startet der gerne etwas später. Ich muss dann aufpassen, dass im Anschluss kein Meeting mit Deutschen liegt – das beginnt nämlich meistens pünktlich!“
Spürbar wird der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sylvain erinnert sich an eine Anekdote aus der Corona-Zeit: „Ein französischer Minister sagte, Eltern dürften mit Bescheinigung ihre Kinder auch nach der Ausgangssperre um 18 Uhr aus dem Kindergarten abholen. Da waren einige deutsche Freunde überrascht, dass Kinder in Frankreich so spät noch fremdbetreut werden.“
Elternzeit ist in Frankreich oft kürzer
Auch in Sachen Elternzeit ticken die französischen Nachbarn anders: Wenige Monate nach der Geburt gehen viele Frauen wieder arbeiten, meistens zu 80 Prozent. „Hier in Deutschland wird das dann bestaunt, in Frankreich müssen sich manche blöde Bemerkungen anhören, wenn sie ‚ganze‘ sechs Monate aussetzen“, weiß Sylvain.
„Das ist in der französischen Mentalität heute noch so verankert“, ergänzt seine Bekannte Laure Knauer. Die Französin lebt mit ihrer Familie ebenfalls seit Jahren in Karlsruhe. „Ich kenne viele französische Frauen mit zwei, drei oder sogar vier Kindern – bei denen ist es keine Frage, dass sie ein paar Monate nach der Geburt wieder arbeiten, denn sie haben meistens keine Wahl. Die französischen Unternehmen erwarten, dass man wieder zur Verfügung steht.“
Französischer Gottesdienst in Karlsruhe
Laure selbst hat vor Kurzem ihr viertes Kind bekommen und sieht es als großes Glück, dass sie in Deutschland zwei Jahre Elternzeit nehmen kann. „Wenn du hier schneller wieder arbeiten gehst, stehst du fast als schlechte Mama da“, sagt sie lachend. „Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass Körper und Seele nach der Geburt Zeit brauchen. Wenige Monate später ist es nicht so, als ob nichts gewesen wäre. Nicht nur die Frau, auch die ganze Familie braucht nach einer neuen Geburt Zeit, um sich wieder zu finden. Ich glaube, dass auch Frauen in Frankreich gern länger Elternzeit nehmen würden, aber es wird finanziell oft zu knapp. Hier in Deutschland haben wir die Chance, uns mehr Zeit für unsere Familie zu nehmen – und wir können sie sogar mit unserem Mann teilen“, sagt die Katholikin, die den französischen Gottesdienst in der Kirche Herz Jesu mitorganisiert.
Auch durch Kita und Schule der Kinder hat sie ein Netzwerk aus französischen Müttern und Vätern in Karlsruhe aufgebaut. Durch ihren Job als Einkäuferin beim Unternehmen Michelin kennt sie ebenfalls viele Landsleute.
Französische Grenzpendler in den Betrieben
So geht es auch Eloise Clerc, die bei einem anderen großen Betrieb arbeitet, der Mitarbeitende aus beiden Ländern beschäftigt: bei Daimler in Wörth. „Dort bin ich seit zwei Jahren Werkstudentin und freue mich immer auf meine Kollegen, mit denen ich französisch sprechen kann – das ist mein wöchentliches Highlight“, sagt die 22-jährige Studentin.
Sie stammt aus dem Elsass, lernte schon im Kindergarten Deutsch und schrieb später das deutsch-französische Abitur „AbiBac“. Eloise wollte aber nicht wie ihre Mutter Deutschlehrerin werden, sondern entschied sich für ein Französisch- und Mathe-Studium an der PH Karlsruhe.
Stammtisch für Franzosen in Karlsruhe
In ihrer Freizeit moderiert sie die Facebook-Gruppe eines deutsch-französischen Stammtisches in Karlsruhe, zu dem alle möglichen Menschen kommen: Französinnen und Franzosen, die in Karlsruhe wohnen, die schon im Beruf stehen oder noch studieren, außerdem Leute, die mal in Frankreich gelebt haben und ihre Sprachkenntnisse erhalten wollen.
Trotz ihrer makellosen deutschen Aussprache steckt noch viel Frankreich in Eloise, wie sie amüsiert feststellt. „Ich brauche zum Beispiel nach wie vor keinen Teller zum Frühstücken, weil ich den Tisch ja sowieso hinterher sauber machen muss. Das irritiert meinen Freund immer noch – er ist Deutscher.“
Beim Käse können sich die beiden schon eher einigen, auch wenn Eloise den Roquefort nicht so sehr mag, wie ihr Freund. „Dafür esse ich gern Morbier, das ist dieser Käse mit Asche in der Mitte. Am Entenfang habe ich einen Markt entdeckt, auf dem es ganz tolle Sorten gibt. Dort finde ich einmal pro Woche wirklich ein Stück Heimat“, erklärt Eloise versonnen. Jetzt muss sie vielleicht nicht mehr von jedem Besuch in der Heimat bei Colmar einen Käse-Vorrat mitbringen.
In ihren fünf Jahren in Karlsruhe hat sich Eloise einen großen deutschen Freundeskreis aufgebaut. Sie findet, dass beide Seiten von dieser Verbindung verschiedener Kulturen profitieren: „Meine Karlsruher Freunde essen immer gern mein Choux Rouge aux marrons, also Rotkraut mit Kastanien. Und ich liebe Linsen mit Spätzle!“
0 Kommentare Französinnen und Franzosen in Karlsruhe