Nicht nur aus der Literatur wissen wir, dass die Nacht einen besonderen Reiz ausübt: Unter ihren dunklen Schwingen kann Mysteriöses, Düsteres und Melancholie enstehen. Doch sie schafft auch Momente der Ruhe und des inneren Einklangs. Während der größte Teil der Gesellschaft zu den Tagmenschen oder „Lerchen“ gehört, die morgens zur Arbeit und Abends ins Bett gehen, sind „Eulen“ vor allem dann aktiv, wenn andere schlafen. Um sie ranken sich Vorurteile: Sucht man sich diese Neigung aus? Was treibt die Nachtschwärmer an? Und: Sind das alles disziplinlose Langschläfer? Karlsruhepuls hat drei von ihnen zum nächtlichen Interview getroffen.
Eine Frage der Vorliebe?
„Ich bin schon immer eine Eule gewesen. Ich glaube nicht, dass das nur eine blöde Angewohnheit ist“, sagt Singer-Songwriter Simon Zimmer. Als Musiker müsse man sogar zu einem gewissen Maß Nachtmensch sein, findet er. Nach Auftritten mit seiner Band stehen ja noch Abbau und Heimfahrt an, da kommt er oft erst gegen drei Uhr nach Hause. „Es gibt immer noch Leute, die unsere Arbeit deshalb nicht als richtigen Beruf ansehen. Sie verstehen nicht, dass wir einfach verschobene Arbeitszeiten haben, deshalb aber nicht länger schlafen als andere.“

Gerade hat der Ettlinger sein erstes Solo-Album „Narrow Skies“ veröffentlicht, das er in zahlreichen Nächten perfektioniert hat. Tagsüber kommt er nicht dazu, denn neben Engagements am Kammertheater Karlsruhe gibt er Gitarren- und Klavierunterricht an der PROmusic School Ettlingen oder arbeitet in verschiedenen Bandprojekten.
Die Ruhe zum Komponieren findet Simon nur zu später Stunde: „Nachts ist man ungestört. Das Fieber des Lebens klingt ab und man kann sich im kreativen Prozess auf bestimmte Gedanken fixieren“, erklärt er.
Nach Mitternacht überkommt ihn manchmal die Melancholie. Diese Stimmung hat sich auf sein Album übertragen. Auch wenn der 31-Jährige gerade keine Songs schreibt, ist er nachtaktiv und schaut alte Horrorfilme aus den 1960ern, macht einen Spaziergang oder geht Radfahren – egal, wie das Wetter ist. „Ich mag es, antizyklisch und entgegen des Normalen zu leben“, sagt er.
„Mädchen für alles“ im Metal-Club
Auch Noel Wein gefällt es, einen Tagesablauf zu haben, der anders ist. Angefangen hat das im Unverschämt. Gerade volljährig, fand sie es cool, nachts in einem Metal-Club als Springer zu arbeiten, also als „Mädchen für alles“. Da begann ihre Schicht mit Aufbau um 20 Uhr und endete nach dem Aufräumen gegen sechs Uhr morgens. „Ich hatte schon immer eine Tendenz, nachts wachzubleiben. Mit dem Job wurde es dann normal und ich zum Nachtmensch“, erinnert sich die 24-Jährige.
Im vergangenen Jahr musste sie sich dann während einer Ausbildung zur Maskenbildnerin auf einen konventionellen Tagesablauf umstellen. „Es ging irgendwann, aber morgens aufzustehen hat sich sehr unnatürlich angefühlt“, berichtet Noel.

Für gewöhnlich erwachen ihre Lebensgeister erst, wenn die Sonne untergegangen ist. Der Mangel an Tageslicht stört Noel wenig, denn sie ist ohnehin kein Sommerbräune-Typ und gegen fehlendes Vitamin D gibt es Kapseln. Ein Nachteil an ihrem Rhythmus sind aber laute Geräusche von draußen, etwa ein Rasenmäher oder das Sturmklingeln des Postboten. Oder wenn sie kurz vor Ladenschluss noch schnell einkaufen gehen muss. „Als selbstständige Maskenbildnerin habe ich keine Nine-to-five-Arbeitszeiten. Manchmal mache ich ein schnelles Tages-Make-up, andere Projekte dauern zwölf Stunden oder länger“, erzählt die Karlsruherin. Geschlafen wird, wenn es passt. Um das durchzuhalten, trinkt sie Energydrinks.
Besondere nächtliche Ruhe
Warum die Künstlerin nachts zu Höchstform aufläuft? „Dieses Alleingelassenwerden mit sich selbst, diese emotionale Ruhe – das aktiviert meine Kreativität“, glaubt Noel. Im Keller ihrer Rüppurrer Wohnung hat sie sich ein privates Atelier eingerichtet. Hier modelliert sie lebensgroße Skulpturen oder künstliche Körperteile wie falsche Nasen oder Hörner für Kreaturen. „Wenn es draußen langsam hell wird, hat man das Gefühl, dass man wirklich was geschafft hat. Dann ist Zeit fürs Bett.“

Einen anderen nächtlichen Arbeitsablauf hat David Kasprowsky. Er ist Fachpfleger für Intensiv- und Anästhesiemedizin am Klinikum Mittelbaden-Balg. Jeden Monat absolviert er fünf bis sechs Nachtdienste am Stück. Seine Schicht beginnt, wenn andere zu Hause gerade den Primetime-Film einschalten und endet gegen sieben Uhr morgens. Auch als Bereitschaftsleiter beim Deutschen Roten Kreuz sowie als nebenberuflicher Veranstaltungstechniker für industrielle Events ist David an wechselnde und oft nächtliche Einsätze gewohnt.
„Ich arbeite sehr gerne nachts. Nicht nur, dass es in der Nacht auf eine besondere Weise ruhiger ist – was nicht heißt, dass wir im Nachtdienst nichts zu arbeiten hätten. Die Intensivstation ist bei Nacht eine ganz andere Welt“, findet der 30-Jährige. Im Tagesdienst sei der Trubel größer, weil sich dann für Visiten und Diagnostik mehr Personal auf der Station befinde. Da seine Kinder noch klein sind und Weihnachten nachmittags gefeiert wird, schiebt der dreifache Familienvater auch an den Feiertagen die Nachtschicht.
Ungewöhnliche Erlebnisse
Währenddessen hat er keine Zeit, müde zu werden, sagt der Fachpfleger. Er kann sich noch gut an das ungewöhnlichste Erlebnis im nächtlichen Dienst erinnern: Während eines Kaiserschnitts begann eine werdende Mutter zu singen wie eine Musicaldarstellerin – zur Unterhaltung des ganzen OP-Saals. Solche Anekdoten, aber auch Gespräche mit Kollegen und Erfrischungsgetränke lassen ihn nachts durchhalten. „Wichtig ist aber auch, tagsüber viel und gut zu schlafen.“
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