Es ist nicht zu übersehen: Die Kriegsstraße verwandelt sich. Im Rahmen der Kombilösung, die das innerstädtische Straßenbahnnetz unter die Oberfläche verlegt, wird auch der Pkw-Verkehr auf der zentralen Ost-West-Achse künftig durch einen 1,6 Kilometer langen Autotunnel geleitet – mit separaten Zufahrten am Ettlinger Tor, an Ritter- und Lammstraße. Der Tunnel wird seit 2017 gebaut und soll 2021 fertig sein.
Spannende städtebauliche Situation
Zwischen Ettlinger Tor und Karlstor begegnet man städtebaulich einer der spannendsten Situationen in ganz Karlsruhe, die das Gesicht der Stadt verändern wird: Anstelle der Schneise, die die Kriegsstraße bisher durch Karlsruhe zieht, soll eine Baumallee mit Straßenbahntrasse und Radwegen treten und auf Höhe der Innenstadt zum Boulevard werden!
Bereits in Bau ist dort das MotelOne, das 2023 eröffnen soll und einen Wohnblock aus den 1970er Jahren ersetzt, der nach jahrelangem Leerstand abgerissen wurde. Nach Plänen der Stuttgarter Wittfoht Architekten rückt ein knapp 35 Meter hoher Bau mit Glasfassade nach, der nicht nur das Hotel, sondern auch Wohnungen und Büroräume beherbergt.
Highlight: Eine Skybar auf dem Dach – Karlsruhes erste! Von dort oben wird man womöglich auch auf das direkt gegenüber angedachte Forum Recht im Garten des Bundesgerichtshofs blicken können. Eine wichtige Rolle soll in diesem Gebäude auch die Hotelbar im Erdgeschoss spielen und als belebter Freiraum Innen und Außen verbinden.
Zwischenräume gestalten
Dies könnte wesentlich zur Erzeugung eines Boulevard-Charakters beitragen. Wichtig wäre, dass im gesamten Bereich der neuen Kriegsstraße auch der Raum zwischen den Häusern gestaltet wird, denn ein Boulevard muss die Möglichkeiten zum Flanieren bieten. Orte zum Verweilen, an denen urbanes Leben stattfindet. Erst solche Zwischenräume lassen die in der Architektursprache vielbemühte „Aufenthaltsqualität“ entstehen!
Der bislang einzige grüne Freiraum an der Kriegsstraße ist der Nymphengarten. Ihn zur neuen Kriegsstraße hin zu öffnen, böte enormes Potenzial. Auch beim Staatstheater entsteht in den kommenden Jahren die große Chance, einen einladenden Ort und eine Verbindung zur Stadt zu schaffen. Der aktuelle Altbau von Helmut Bätzner (1970–75) wirkt eher wie eine Barriere. Er wird nun in drei Bauabschnitten mit einem Neubau von Delugan Meissl Associated Architects aus Wien erweitert und zum städtischen Knotenpunkt geformt.
Theatervorplatz neu positionieren
Dabei wird auch die Gestaltung des Hermann-Levi-Platzes wichtig sein, dessen Wettbewerb noch laufen muss. Die Herausforderung besteht darin, die städtebauliche Positionierung von Theater und Vorplatz in Bezug auf Ettlinger-Tor-Platz und Via Triumphalis neu zu denken. Und natürlich das Verhältnis des Theaterplatzes zur Neuordnung des gegenüberliegenden Landratsamtes. Dieses darf nach langer Diskussion trotz Denkmalstatus abgerissen werden. Weitere Entscheidungen stehen noch aus.
Auf der gegenüberliegenden Seite stehen nicht minder große Veränderungen an: Das wuchtige Postgirogebäude mit seiner vorgehängten Rasterfassade von 1978 soll abgerissen werden. Der Freiburger Bauträger Unmüssig, der auch den Neubau des MotelOne verantwortet, erwägt eine Mischnutzung aus Hotel, Einzelhandel, Büros und Wohnungen. Um 2025 soll ein Neubau entstehen, konkrete Pläne sind noch nicht bekannt. Wie wird sich das Gebäude an dieser Stelle ins gesamte Ensemble einfügen? Gibt es luftige Öffnungen zum Boulevard hin oder eine geschlossene Fassadenfront wie beim Ettlinger Tor-Center?
Aus der Fußgängerperspektive
Auf dem künftigen Boulevard Kriegsstraße werden wir Karlsruhe bald nicht mehr aus der Auto-, sondern der Fußgängerperspektive erleben. Ein neues und lebendiges Quartier mit Grün und Freiräumen könnte entstehen, das von unterschiedlichen Gruppen genutzt wird!
Den vielen Bauvorhaben und ihrer Wirkung auf den neuen „Boulevard Kriegsstraße“ entlang des Abschnitts zwischen Mendelssohnplatz und Karlstor widmet sich derzeit eine digitale Ausstellung im Architekturschaufenster. Sie ist mit Urban Sketches von Steve Faraday illustriert und will Denkanstöße geben und Visionen entwickeln.
Hintergrund:
Die Kriegsstraße wurde um 1800 für Streitkräfte auf dem Durchmarsch gebaut, die man zum Schutz der Bevölkerung an der Stadt vorbeileiten wollte. Vor über 200 Jahren bildete diese neue Straße den Abschluss der Stadt, südlich von ihr lagen Gartenanlagen. Architekt Friedrich Weinbrenner gestaltete 1805 am Ettlinger Tor, also in der Mitte des künftigen Kriegsstraßen-Boulevards, einen halbkreisförmigen Platz als Übergang zwischen Stadt und Landschaft. Seither gab es immer wieder Ansätze zur Neugestaltung des Areals.
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